Hello Piedpiper

Hello Piedpiper

Präsentiert von Bedroomdisco und dem Intro Magazin.

Es gibt Alben, die sind so dicht, vielschichtig und variantenreich, dass man sich nach den ersten Hördurchgängen darin schwindelig orientieren muss. Atem schöpfen und erstmal Stück für Stück umgucken, dann aber doch irgendwann kopfüber rein in die lichtdurchfluteten Zwischenräume. „The Raucous Tide“, das zweite Studioalbum des Kölner Songwriters Fabio Bacchet alias Hello Piedpiper, ist ein klassisches Folk-Album, und dann doch wieder nicht. Es ist ausladend-poppiger Film-Soundtrack, dabei aber fast 100 Prozent DIY. Es ist das Album eines Solokünstlers, das dennoch den gemeinschaftlichen Klang dreier akribisch experimentierender Musiker atmet. Und es beinhaltet so viele hinreißende Ohrwürmer, jazzige Harmonien, Chorgesänge und clevere Wendungen, dass es eine Weile braucht, bis man die Details und Verästelungen auch wirklich einzelnen Liedern zuordnen kann.

Nach seinem 2012er Album „Birdsongs=Warsounds“ und nach über 200 gespielten Konzerten in ganz Europa (u.a. mit Künstlern wie Anti Flags Frontmann Justin Sane, Billy Bragg, Bill Callahan, Local Natives oder Susanne Sundfor) war es für Hello Piedpiper an der Zeit, Dinge zu ändern. 2015 holte er sich mit Guido Sprenger live Verstärkung an Gitarre, Bass und Piano hinzu, wenig später folgte Lukas Hoffmann am Schlagzeug und Backing Vocals. Mit diesen beiden Herren kam die Möglichkeit, den bisherigen Piedpiper-Sound signifikant zu erweitern, die Neugier auf Groove, ausgefallene Rhythmen, unkonventionelle E-Gitarren-Sounds und Soundscapes zuzulassen, die auf traditionelle Folk-Strukturen montiert wurden – ein bisschen wie Simon & Garfunkel, wahlweise von Midlake oder Ennio Morricone instrumentiert.

Die Klangästhetik von „The Raucous Tide“, die im Mix von Matthijs Herder (u.a. Black Oak, The Black Atlantic) noch einmal geschliffen wurde, erinnert an patiniertes Silber –große, dunkle Hallräume, verwehte Backing Chöre und Refrains mit so weiten Melodiebögen, dass man sie von einer Steilküste aus auf’s Meer hinausschreien möchte.

Auch textlich reiben sich die Geister. Neben städtischen Eskapismus-Fantasien („Hearth and Home“) stehen Geschichten über Soldaten, die als Marionetten von skrupellosen Machthabern ausgenutzt werden und ihre unheilbaren Traumata nach dem Kriegseinsatz („Ask for them“ und „ The Fear“). Die Geburt seines Sohnes („The Raucous Tide“) trifft auf einen plötzlichen Tod in der Familie („Light Wood). Besonders zu Herzen geht die Geschichte über die Ankunft eines jungen Flüchtlings in einer neuen Welt („Lampedusa“), die ihn offensichtlich nicht bei sich haben will. Das Lied handelt auch davon, sein Leben hinter sich zu lassen, um nach neuer Hoffnung zu suchen und spielt auch auf Bacchets Vater an, der seiner Zeit aus Italien als Gastarbeiter nach Deutschland kam, um Arbeit zu finden und später die Frau traf, mit der er eine Familie gründete.

Früher, als die Dinge noch einfach waren, möchte man sagen, obwohl man weiß, dass das nicht stimmt. Irgendwie gehört all das zu Hello Piedpiper – musikalisch, textlich und auch biografisch: Vergangenheit und Gegenwart so fest verwoben, dass man nicht mehr genau sagen kann, auf welcher Seite die Fragen und auf welcher die Antworten stehen, wo das Alte aufhört und wo etwas Neues beginnt.

www.hellopiedpiper.com